Die G20: „Wirtschaftsungleichgewichte“ – „neues Weltwährungssystem“

Die G20 hätte aus der Krise nichts gelernt, urteilten Kritiker zum Ergebnis des G20-Gipfels vom 19.02.2011. Doch, was sollte aus ihr gelernt werden und wer ist das von der G20, der aus ihr gelernt haben sollte? Dass Krisen gefährliche „sozialen Unruhen“ produzieren, muss nicht erlernt werden. Ebenso gehört zu den gesicherten Erkenntnissen, dass „Wirtschaftsungleichgewichte“ Folge des globalen Wirtschaftens sind. Und „gefährlichen Wirtschaftsungleichgewichte“ will doch die G20 jetzt messen und damit der Politik ermöglichen, „gegensteuern“ zu können. Dazu haben sie sich auf konkrete Schritte zum Abbau der „globalen Ungleichgewichte“ geeinigt; und geeinigt auf fünf Indikatoren, „an denen Ungleichgewichte festgemacht werden“ können. Also immerhin etwas gelernt. 

Freilich, es mag nicht das sein, was als Lernergebnis erhofft wird und erforderlich wäre. Aber, „Wirtschaftsungleichgewichte“ abbauen und gegen ihre Gefährlichkeit „gegensteuern“ zu müssen, dieses gemeinsame gleiche Verständnis der G20 bestätigt die Einschätzung ihrer Einigung als „wichtigen Schritt“, der wohl vor allem ein Verdienst der Christine Lagarde ist. Für die G20 erwiesen sich wohl ihre Interessengegensätze und ihr unterschiedliches Verständnis von globaler Wirtschaft, von Politik und Markt als ein zu großes Hindernis, sich auf weitere Schritte zu einigen.

Kritiker könnten allerdings darauf verweisen, dass „Wirtschaftsungleichgewichte“ und deren Gefährlichkeit bereits vor dieser Einigung festgestellt worden sind. Sie konnten schon bisher auch an den jetzt vorgeschlagenen fünf Indikatoren „festgemacht“ werden. Ebenso war es bisher möglich, dass sie abgebaut werden, dass Politik „gegensteuern“ konnte. Die jetzige Einigung der G20, sie zu „messen“, „festzumachen“ und „gegenzusteuern“, ist aber vielleicht gerade deshalb als ein „wichtiger Schritt“ zu verstehen, nämlich hin zu einem Verständnis von einer „krisenfesteren Weltwirtschaftsordnung“. Freilich, mehr ist an diesem „wichtigen Schritt“ nicht feststellbar. Dass es in der G20 keine Mehrheit gibt für eine solche „Weltwirtschaftsordnung“ und keine, wie mit den fünf Indikatoren „Wirtschaftsungleichgewichte“ „gemessen“ und „festgemacht“ werden sollen, geschweige denn wie und womit „gegengesteuert“ werden soll, zeigt vor allem ihren Erkenntniswiderspruch.

Die Gefährlichkeit der „Wirtschaftsungleichgewichte“ zwingt sie zum Handeln, um nicht unterzugehen. Das bedingt aber, dass sie ihr Verständnis von Politik und Ökonomie, von Plan und Markt, in Frage stellen, dass sie ihren Widerspruch zu den Erkenntnissen vom Zusammenhang von Politik und Ökonomie, von Plan und Markt, von einem „systematischen“ Steuern und ordnenden Handeln überwinden. Wie weit sie davon noch entfernt sind, verdeutlicht ihre Auseinandersetzung um ein Verständnis zu den Begriffen „Weltwirtschaftsordnung“, „Weltwährungssystem“, also um ein Verständnis, dass eine „krisenfesteren Weltwirtschaftsordnung“ das Ordnen des Umgangs mit den Währungen der Welt bedingt.

„Globales Wirtschaften“ ist nun mal für eine historische Zeit untrennbar verbunden mit Währungen – dass sie gewechselt werden (müssen). Was hier als wechseln bezeichnet wird, ist der Verkauf / Kauf von Geld einer Währung mit dem Geld einer anderen. Mit wie viel Einheiten einer Währung Einheiten anderer Währungen gekauft werden können, bestimmt der „Wechselkurs“, also das bestimmende Verhältnis dieser Einheiten zueinander. Der Wechselkurs soll also das Verhältnis der wirtschaftlichen Werte der Währungsländer zum Ausdruck bringen – das Verhältnis der wirtschaftlichen Werte den Wechselkurs bestimmen. Für ein Verständnis von einer „krisenfesteren Weltwirtschaftsordnung“ ist also ein gemeinsames gleiches Verständnis von „realen Wechselkursen“, und wie diese bestimmt werden, unabdingbar.

Zwar kommt mit dem Indikator „reale Wechselkurse“ ein Verständnis von dieser seiner Bedeutung zum Ausdruck, doch weder zu diesem noch zu den anderen vier vorgeschlagen Indikatoren gibt es eine Einigung, was mit jedem dieser Indikatoren zu verstehen sei. Dahin muss der nächste wichtige Schritt gehen. Um dieses Verstehen geht kein Weg vorbei. Der Markt zeigt tagtäglich welche Wechselkurse in der Realität feststellbar sind, also real sind. Diese können aber dann nicht als Indikator zu verstehen sein, an dem Ungleichgewichte „festgemacht“ werden sollen. Denn auch wenn die Börsen tagtäglich Wirtschaftsveränderungen als Ursache tagtäglich veränderter Wechselkurse erklären, „Währungsverhältnisse“ gleichzusetzen mit Verhältnissen der wirtschaftlichen Werte der jeweiligen Währungsländer, führt zu nichts, mit dem Politik „gegensteuern“ könnte. Es muss also ein gemeinsames gleiches Verständnis erreicht werden, was der jeweilige wirtschaftliche Wert der Währungsländer ist. Mit ihm könnten dann Politik und Wirtschaft „festmachen“, ob reale Wechselkurse realen wirtschaftlichen Wertverhältnisse entsprechen, oder davon abweichen. Und Politik könnte dann mit „Gegensteuern“ ökonomischen Auswirkungen aus Abweichungen neutralisieren, oder reale Wechselkurse bestimmen.

Mit dem herrschenden Verständnis, dass der Wechselkurs von Geldbeträgen „Wert“ ausdrücke und mit einem Kaufkraftstandard (KKS), der eine „von Landeswährungen unabhängige fiktive Geldeinheit“ sei, die „Verzerrungen aufgrund von Unterschieden im Preisniveau verschiedener Länder ausschalte“, können keine „Wirtschaftsungleichgewichte festgemacht“ werden. Denn auch für den KKS werden Kaufkraftparitäten (KKP) ermittelt und zwar indem „sie mit Wechselkursen vergleichbar gemacht werden“. Doch diese sind die am Markt feststellbaren realen Wechselkurse, von denen auch die G20 zur Kenntnis genommen hat, dass sie nicht Verhältnissen realer wirtschaftlicher Werte der Währungsländer entsprechen.

Freilich, ein philosophisch begründetes Verständnis von „Wert“ anwenden zu wollen, darauf kann sich die G20 nicht einlassen. Ihre unterschiedlichen, gegensätzlichen Ideologien zu „Wert“ sind nicht vereinbar. Ebenso wenig tauglich dafür ist ein Verständnis, dass irgendein Ding einen bestimmten „wirtschaftlichen Wert an sich“ habe oder durch Zuordnung einen solchen „Wert“ bekommen sollte, der als Maßstab zur Bestimmung von Währungsverhältnissen dienen könnte, wie es historisch zum Beispiel mit Gold verstanden wurde. Ebenso wenig als Maßstab tauglich ist der „Wert“ der Währung eines Landes („Leitwährung“). „Leitwährung“ ist immer Machtinstrument. Ein allseitig akzeptiertes Verständnis von „Wert“ darf auch nicht bloß „Denkfigur“ sein.

Das Verständnis von „Wert“ muss eine handhabbare Bestimmung des „wirtschaftlichen Wertes“ ermöglichen, und zwar mit den bestehenden Möglichkeiten der Erfassung und der Analyse von wirtschaftlichen Daten: Daten, mit denen vergleichbare „wirtschaftliche Werte“ der Währungsländer zum Ausdruck kommen.
Wird mit „wirtschaftlichen Wert“ (in Bezug auf die Bestimmung von Währungsverhältnissen) alles das verstanden, was für alle Menschen wichtig für ihr Leben und Zusammenleben ist, ganz gleich zu welchem Währungsland sie gehören, können es nur die Mitteln und Bedingungen sein, die sie für ihr Leben, Zusammenleben verbrauchen und gebrauchen, die sie individuell und produktiv konsumieren. Denn in dem, was und indem sie es kaufen, kommt ihr Verständnis zum Ausdruck, dass das für ihr Leben und Zusammenleben (eigentlich) „Wert“ hat.

Als Daten erfasst wäre es die verkaufte/gekaufte Jahresmenge an Gütern und Leistungen, mit der ein Maßstab des „wirtschaftlichen Wertes“ bestimmt werden kann. Doch mit den erfassten Daten von einer zu Preisen des jeweiligen Währungslandes bewerteten Jahresmenge können „wirtschaftlichen Werte“ der Währungsländer nicht verglichen werden. Nicht nur die als Preis ausgedrückten Geldnamen sind verschieden. Auch das historisch entstandene Preisniveau – also die Menge Geldeinheiten – von vergleichbaren Gütern und Leistungen ist in den Währungsländern ungleich.

Wiederum besteht aber in allen Währungsländern ein Zusammenhang zwischen der zu Preisen ausgedrückten verkauften/ gekauften Jahresmenge an Gütern und Leistungen und der Menge gleicher Geldeinheiten, die für deren Bezahlung benötigt wurde. Das Verhältnis von dieser Preissumme und dieser Menge gleicher Geldeinheiten („Geldmenge“) ist vergleichbar. Für diese Vergleichbarkeit kann zulässig angenommen werden, dass die Zahl der in einem Jahr mit dieser Meng gleicher Geldeinheiten erfolgten Käufe gleich ist. Es ist ein Ideal-Verhältnis. Wäre es in allen Währungsländern feststellbar, könnte das jeweilige Währungsverhältnis aus dem Verhältnis dieser Preissummen der jeweiligen Währungsländer bestimmt werden.

Die Wirklichkeit sieht aber anders aus. Die „Geldmenge“ ist in allen Währungsländern größer als benötigt und auch die in Geld ausgedrückte als „Finanzprodukte“ bezeichnete Menge. Darüber hinaus wird als „wirtschaftlicher Wert“ das Bruttoinlandsprodukt verstanden, unabhängig davon ob es verkaufbar ist oder nicht. Und nicht zuletzt werden auch die Produktion und der Handel mit „Finanzprodukten“ als „wirtschaftlicher Wert“ verstanden, unabhängig davon ob mit ihnen verkaufbare Güter und Leistungen für das Leben und Zusammenleben produziert werden (können) oder nicht. Dagegen wird in diesem so verstandenen „wirtschaftlichen Wert“ die Verschuldung der Währungsländer nicht berücksichtigt. Die Salden der Leistungsbilanzen der Währungsländer drücken nicht deren „wirtschaftlichen Wert“ aus und für die Bestimmung von Währungsverhältnisse zugrunde gelegt werden.

Deshalb können auch mit den vorgeschlagenen Indikatoren Leistungsbilanz, reale Wechselkurse, Haushaltsdefizit und öffentliche Schulden, Währungsreserven und private Spareinlagen wirtschaftliche Ungleichgewicht weder „festgemacht“ noch mit ihnen Währungsverhältnisse bestimmt werden. Mit den bestehenden und zu erarbeitenden Möglichkeiten der Erfassung und Darstellung von Daten der „Geldmenge“, der Menge der „Finanzprodukte“ (Geldware), der „Staatsschulden“ und der Schulden der Bevölkerung jedes Währungslandes können die Abweichungen zum genannten Ideal-Verhältnis festgestellt als Ist-Verhältnis jedes Währungslandes dargestellt werden. Mit diesen Ist-Verhältnissen zueinander können Währungsverhältnisse bestimmt werden. Diese Bestimmung kann deshalb nicht Ergebnis eines („Währungs-) Systems“, das im kybernetische Verständnis ein sich selbst organisierenden ist, sein. Die Bestimmung bedarf einer Ordnung, für die ein anderes Ordnen des Systems „United Nations System of National Accounts“ eine unabdingbare Grundlage ist.

Wenn alles das, im Zusammenhang verstanden und in einer den Zustand verändernden politischen Tätigkeit zum Ausdruck käme, könnten wohl auch die Kritiker feststellen: Aus der Krise etwas gelernt. Doch jetzt ein halbes Jahr nach dem G20 Gipfel bestätigt die Feststellung, dass die Staatenlenker weltweit gegen die Schuldenkrise und die Panik auf den Finanzmärkten kämpften: Auch die Staatenlenker haben aus der Krise nichts dazu gelernt.

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